Zum Nationalfeiertag führen wir in der Bundeshaus-Redaktion jeweils ein längeres Gespräch mit dem amtierenden Bundespräsidenten oder der amtierenden Bundespräsidentin. Dieses Mal also mit Alain Berset, der Ende Jahr nicht mehr zur Wiederwahl antreten wird. In diesem Beitrag beschreibe ich den Ablauf des Gesprächs, seine Struktur und Improvisation-Elemente, und was gut oder weniger gut geklappt hat.
Vorgaben für das Gespräch gab es keine. Klar war nur: Es ist ein 1.-August-Gespräch, es geht also um die Schweiz, um die Bevölkerung, um den Zustand der Nation. Zu den Hauptaussagen des Bundespräsidenten hatte ich keine Informationen bekommen, ich hatte also freie Hand.
Meine Fragen hatte ich mir im Mind-Map-System auf Moderationskarten geschrieben, also mit einem Themenschwerpunkt in der Mitte und zugehörigen Stichworten rundherum. Die erste Frage war als Einzige ausformuliert: Weshalb wir das Interview in Fribourg, im Café des Arcades führen, in der Nähe der Kathedrale und der Altstadt? Das Gespräch bleibt weiter, wie ich das oft am Anfang eines Interviews mache, auf der persönlichen Ebene, ich spreche ihn auf seine Mutter an, die kurz zuvor nach 27 Jahren aus dem Grossen Rat des Kantons Freiburg zurückgetreten ist. Inhaltlich ist das nicht allzu ergiebig, aber es gibt einen lockeren, schnellen Einstieg ins Gespräch.
Dann kommt der Bundespräsident das erste Mal mit seiner Hauptbotschaft zum 1. August: Wir müssen oder sollen zuversichtlich in die Zukunft schauen! Da hake ich nach: was heisst das konkret? Später im Gespräch sagt er: Es braucht Offenheit, um mit Mut und Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Da hätte ich ihn auf die Europa-Diskussion ansprechen können, sollen. Ich frage zwar nach, was es denn für konkrete Schritte braucht, um eben mit Mut und Zuversicht in die Zukunft zu gehen, aber er bleibt vage.
Als ergiebig erweist sich die Frage, welche Note (1-10) er der Schweiz geben würde.Ich frage konkret nach, ob seine Note 7 nicht zu positiv sei – Stichworte Neutralitäts-Diskussion, CS- Untergang, EU-Diskussion. Diese kritischen Stichworte habe ich vorbereitet, weil ich davon ausgegangen bin, dass er eine eher positive Note geben wird.
Dann redet Berset über die Neutralität der Schweiz, verteidigt die Position des Bundesrats. Auch da hätte ich kritischer nachfragen können – der BR beruft sich auf die Neutralität aus den 90er-Jahren - aber die Welt hat sich zwischendrin bewegt.
Spannend wurde das Gespräch, als ich ihn auf die viel diskutierte Spaltung in der Gesellschaft ansprach. Er glaubt, dass die Gesellschaft viel weniger gespalten ist, als wir oft glauben. Er habe zwar während der Pandemie auch zeitweise an eine Spaltung geglaubt. Aber dann sei die Pandemie-Politik des Bundesrats dreimal mit grossen Mehrheiten an der Urne bestätigt worden, was doch zeige, dass es keine Spaltung gibt. Das war der Moment, wo ich definitiv eine kritische Rückfrage hätte stellen müssen: Denn die Mehrheiten in den Abstimmungen lagen jeweils bei etwas über 60 Prozent Ja-Stimmen, das ist nun wirklich keine grosse Mehrheit.
Interessant war es meiner Meinung nach auch, als es um den Bundesrat ging. Auf meinen kritischen -Einwurf, dass der Bundesrat vor allem beobachte und vielleicht etwas mehr und schneller entscheiden könnte, gab er zu, dass er vor der Pandemie wohl nicht hätte widersprechen können. Aber der Bundesrat habe während der Pandemie und jetzt auch bei der Not-Übernahme der CS durch die UBS gezeigt, dass er in Krisensituationen sehr wohl rasch und klar entscheiden könne.
Dann kam der Schluss des Gesprächs, natürlich vorbereitet, der Schluss ist ja wie die Landung mit einem Flugzeug, die muss auch geplant sein. Die Frage nach der Zukunft drängt sich auf, es entwickelt sich ein munteres Ping-Pong von Fragen und Antworten. Er besteht nach wie vor drauf, dass er sich noch (fast) keine Gedanken über die Zukunft gemacht hat. Interessant sein Einwurf, dass kein Bundesrat in der Geschichte der Schweiz mehr Abstimmungen verantwortet hat als er (nämlich 29), und dass er deswegen auch froh sei, ab 2024 einfach auch mal eine Auszeit zu haben.
Mein Fazit dieses Gesprächs von gut 22 Minuten: Ich habe den roten Faden des Interviews durchziehen können, ohne zu stark an meinen Fragen zu kleben, das Gespräch erschien mir rund und ausgewogen. Gut die Hälfte der gestellten Fragen waren vorbereitet, den anderen Teil habe ich spontan aus dem Gespräch heraus formuliert. Gut gefallen hat mir der Rhythmus des Gesprächs, sowohl Fragen wie auch Antworten waren unterschiedlich lang. Aber: einige kritische Nachfragen mehr hätten dem Gespräch gutgetan und mehr Tiefe gegeben.
Urs Leuthard
Hier der Link zum Gespräch: https://www.srf.ch/play/tv/ansprachen-bundesrat/video/gespraech-zum-1--august-mit-bundespraesident-alain-berset?urn=urn:srf:video:ab312da5-ff89-496d-a340-b872460897c3
Bild von SRF
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