Die 1. August-Rede auf dem Lande

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01.08.2023
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Nun sprechen sie wieder, landauf und landab, die begnadeten und weniger begabten, speziell auserkorenen Rednerinnen und Redner. Sie philosophieren über unser Land, über unsere Bräuche, über das Glück hier in diesem Paradies beheimatet zu sein. Sie fachsimpeln über unsere bewährte Demokratie, darüber dass es leider etwas lange dauert, bis Entscheide gefällt werden können, loben hingegen die einzigartige Stabilität des helvetischen Systems, zeigen sich begeistert über unsere Debattenkultur, dieses tolle Verständnis über den Röstigraben hinweg. Das bedauerliche am Ganzen: diese Reden werden in der Regel allesamt akribisch vorbereitet und dann ab Blatt vorgelesen. Und dies leider nicht immer in der vorteilhaftesten Art und Weise: ohne Kontakt zum Publikum, mit falscher Betonung und übertribenem Pathos, ein leises Gemurmel im abenteuerlichen Wechsel zu überlauten Stellen, Satzmonster ohne Anfang und Ende.

Nicht so in einer kleinen Gemeinde im Schwarzenburgerland. Da ergreift nach dem imposanten Spiel der Dorfmusik der Gemeindepräsident das Wort. Er spricht langsam, laut und deutlich ins Mikrofon. Er lässt sich Zeit zum Denken, der Gedanke entsteht während dem Sprechen. Seine Rede ist kurz und einfach. Er spricht über zwei Erfahrungen aus seiner Jugend und verbindet diese mit dem Heute. Ein kurzer aktueller Bezug zum Krieg in der Ukraine reicht, um vollends im Hier und Jetzt zu landen. Die Menschen hören zu, nicken zustimmend, sie fühlen sich gemeint. Nach geschätzten sieben Minuten ist die Rede vorbei. Applaus!

Applaus auch vom Kommunikationstrainer. Nicht unbedingt wegen dem berauschenden Inhalt, Applaus vor allem für die freie Rede. Der Mann hat ohne Manuskript ein paar persönliche Gedanken mit seiner Zuhörerschaft geteilt. Er hat in einfacher und klarer Sprache das gesagt, was im Moment des Sprechens an diesem Anlass zu diesem Publikum zu sagen war. Nicht mehr und nicht weniger. Dafür braucht es den Mut zum Unperfekten, den Mut zur Einfachheit, den Mut zur Reduktion. Dies alles hat diese Ansprache eingelöst. So ist eine Rede zum Nationalfeiertag zwar kein grosses Ereignis, eine positive Erfahrung allemal.

Bild St. Galler Tagblatt

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